Suchtbewältigung: Ursachen, Anzeichen und effektive Strategien zur Suchtüberwindung
Wann immer mir etwas im Außen zu viel war, wenn es meine Fähigkeiten, damit umzugehen, überstieg oder ich einfach überreizt war, zog ich mich zurück. In solchen Momenten steckte ich mir oft den Mittel- und Ringfinger der rechten Hand in den Mund. Diese Methode war für mich eine bewährte Selbstregulationsstrategie, die mir half, in stressigen Situationen einen Moment der Ruhe zu finden. Für mich funktionierte das bestens.
Im Grundschulalter versuchte meine Mama, mir dieses Verhalten abzugewöhnen, damit ich nicht gehänselt werde. Heute weiß ich, dass es für mich eine kindliche Stressbewältigungsstrategie war. Ich hörte zwar damit auf, doch die Notwendigkeit, mich selbst zu regulieren, blieb bestehen. Die Strategien verlagerten sich jedoch auf andere Bereiche, wie etwa Nägelkauen, Überessen, Alkoholkonsum, Rauchen und Medienkonsum.
Diese Suchtverhalten, die mich in verschiedenen Phasen meines Lebens begleiteten, waren für mich in unterschiedlicher Intensität eine Möglichkeit, mit Stress oder innerem Schmerz umzugehen. Doch ich stellte fest: Wenn ich an einer Stelle ein unerwünschtes Verhalten unterdrückte, stieg es an einer anderen Stelle umso stärker an. Es erinnerte mich an die Gelpads, bei denen sich die Flüssigkeit an einer Stelle sammelt, sobald sie an einer anderen weggedrückt wird.
Was ist Sucht und warum entsteht sie?
Sucht wird auf unterschiedliche Weise definiert und klassifiziert. Dabei gibt es immer wieder Diskussionen darüber, ob Sucht eine psychische Krankheit ist oder ob sie einfach auf mangelnde Willensstärke zurückzuführen ist. Gleichzeitig wird häufig auch die Frage gestellt, wie viel Selbstverantwortung jeder Einzelne dafür trägt.
Sucht betrifft nicht nur bestimmte Altersgruppen, sondern Menschen aus allen sozialen Schichten und Geschlechtern – sowohl die Betroffenen als auch ihre Angehörigen. In der Gesellschaft gibt es zahlreiche Wege, sich kurzfristig Erleichterung bei Sucht zu verschaffen. Diese reichen von der Nutzung von Substanzen (wie Alkohol und Drogen) bis hin zu Verhaltensweisen, die oft übersehen werden.
Man unterscheidet grundsätzlich zwischen substanzgebundener Sucht (z.B. Drogen, Alkohol, Medikamente) und substanzungebundener Sucht (z.B. Arbeit, Sport, Shopping, Pornografie, Glücksspiel). Dabei stellt sich immer die Frage: Ab wann spricht man von Suchtverhalten? Wann überschreitet ein Verhalten die Grenze von einer harmlosen Angewohnheit hin zu einer tatsächlichen Sucht?
Wann wird ein Verhalten zur Sucht?
Die Grenze zwischen einer schlechten Angewohnheit und einer Sucht ist nicht immer leicht zu ziehen. Oft passiert es schleichend, dass sich ein Verhalten verstärkt und mehr Raum im Leben einnimmt. Besonders dann, wenn dieses Verhalten nicht nur zu innerem Unbehagen führt, sondern auch negative Auswirkungen auf das Umfeld hat.
Einige der zentralen Merkmale von Suchtverhalten sind:
- Sozialer Schaden: Konflikte und Entfremdung im privaten Umfeld.
- Finanzieller Schaden: Übermäßige Kosten oder Verschuldung, sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft.
- Gesundheitlicher Schaden: Schädigung des Körpers und im schlimmsten Fall Lebensgefahr.
- Störfaktoren für unsere Sinne: Sichtbarer Verfall, Armut oder unangenehme Gerüche.
- Gewalt: Aggressives Verhalten im Zusammenhang mit Suchtverhalten.
Es ärgert mich immer wieder, wenn Menschen mit dem Finger auf andere zeigen und glauben, dass Sucht nur eine Frage der Willensstärke sei. Oft wird in solchen Diskussionen schnell gesagt: „Das ist ja etwas ganz anderes!“ oder „Das, was er/sie macht, ist viel schlimmer als das, was ich tue.“ Doch ist das wirklich so?
Wie erkenne ich Suchtverhalten?
Suchtverhalten ist oft nicht auf den ersten Blick erkennbar. Es gibt zwar zahlreiche Anzeichen, aber die Veränderung des Verhaltens braucht Zeit. Die wahre Erkenntnis kommt meist mit einem „Klick-Moment“, in dem man sich bewusst wird, dass das eigene Verhalten mehr Probleme schafft, als es löst. Sucht ist letztlich ein Hunger, ein Verlangen, das nicht immer leicht zu benennen ist. Wir wissen häufig gar nicht, welches tiefere Bedürfnis wir damit zu befriedigen versuchen.
Wie gehe ich mit Sucht um?
Der Begriff Sucht leitet sich von „siechen“ ab, was „an einer Krankheit leiden“ bedeutet. Und so verstehe ich Sucht: als eine psychische Erkrankung, eine Strategie, um mit einem tiefen inneren Schmerz oder Mangel umzugehen. Schmerz ist der zentrale Motor jeder Sucht. Doch das bedeutet nicht, dass jeder, der schmerzhafte Erfahrungen gemacht hat – sei es durch Traumata oder instabile Beziehungen – irgendwann zu einer Sucht greift. Jeder Mensch hat seinen eigenen Weg, mit seinen Verletzungen umzugehen.
Je nach Art der Sucht (oder einer Kombination mehrerer) variieren auch die Wege, wie man damit umgeht. Sie reichen von Ablenkung und Recherche bis hin zu therapeutischen Gesprächen oder stationären Aufenthalten in Suchtkliniken. Der Weg aus der Sucht ist so vielfältig wie die Menschen, die darunter leiden. Es geht dabei nicht nur darum, das schädliche Verhalten zu beenden, sondern vielmehr darum, die zugrunde liegenden Muster der Sucht zu erkennen und zu verändern.
Der Weg zur Heilung
Der Weg zu nachhaltiger Heilung führt uns oft tief in den Schmerz, um ihn letztlich zu transformieren. Um zu verstehen, womit wir es zu tun haben, sind ehrliche und schonungslose Antworten auf einige zentrale Fragen nötig:
- In welchen Situationen zeigt sich das Suchtverhalten? Wann bleibt es aus?
- Was sind die Auslöser für Suchtverhalten? Welche Muster sind erkennbar?
Mit diesen Fragen können wir die dahinterliegenden Muster erkennen. Zudem ist es wichtig, die Beziehung zum Suchtverhalten zu untersuchen. Was bringt mir dieses Verhalten? Welches Bedürfnis versuche ich zu befriedigen? Was ist die eigentliche Motivation hinter meinem Handeln?
Es geht darum, den Mechanismus zu verstehen und zu lernen, wie man sich auf gesunde Weise selbst regulieren kann. Dies ist ein langer Prozess, der oft mit Unterstützung von außen – durch Suchttherapie oder soziale Netzwerke – einhergeht.
Was können wir als Gesellschaft tun?
Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft mehr Mitgefühl für Menschen entwickeln, die mit Suchtverhalten kämpfen. Es braucht mehr Angebote, die nicht nur an der Oberfläche kratzen, sondern tiefgehend und nachhaltig wirksam sind. Wir sollten den Mut haben, Hilfe anzunehmen und uns auch die weniger schönen Seiten von uns selbst einzugestehen.
Es ist wichtig, dass wir das Stigma rund um Sucht abbauen und ein größeres Verständnis für die Ursachen und Auswirkungen von Suchtverhalten entwickeln. Nur durch mehr Offenheit und Mitgefühl können wir langfristig einen positiven Wandel in der Gesellschaft herbeiführen.
Hier noch ein Tipp zu einem Video von Gabor Maté über Sucht und Selbstfindung. In seinem TEDx Vortrag spricht der kanadische Arzt Gabor Maté über die tiefen Ursachen der Sucht, die oft mit Liebe, Selbstflucht und innerer Kraft zu tun haben. Er erklärt, wie Sucht von Drogen bis Macht reicht und warum es so wichtig ist, sich selbst zu verstehen und mit sich selbst freundlich zu sein. Ein wertvoller Vortrag, der die Perspektive auf Sucht und Heilung auf eine tiefere Ebene bringt.